Prälat Harald Stumpf
Wider das Vergessen
Gedenkfeier am 9. November 2014 um 19.15 Uhr Synagogengedenkstein Allee Heilbronn
Sehr geehrte, liebe Frau Toren,
liebe Mitglieder der israelitischen
Gemeinde Heilbronn,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Gäste der Gedenkfeier
am Synagogen-Gedenkstein.
Der 9. November gilt als „Schicksalstag“
in der deutschen Geschichte.
1. Der 9. November 1918 markiert
den Beginn der ersten deutschen Republik.
2. Der 9. November 1938 ist wohl
der dunkelste Tag deutscher Geschichte voller Schande und Scham.
Für den 9. November 1938 stehen
die Bilder der brennenden Synagogen und eines aufgepeitschten Mobs, der
jüdische Bürger demütigt und misshandelt, Schaufenster jüdischer
Geschäfte zerstört und Häuser mit Hetzparolen beschmiert.
Zehntausende jüdische Bürger wurden in Konzentrationslager verschleppt,
Hunderte wurden umgebracht oder starben an den Folgen der Haft Der 9. November
1938 steht damit für die dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte.
Wir erinnern und gedenken hier und
heute der Reichspogromnacht, als hier in Heilbronn in der Nacht vom 9.
– auf den 10. November zahlreiche Geschäfte und Wohnungen jüdischer
Mitbürger gebrandschatzt wurden und am Morgen des 10. November diese
wunderschöne Synagoge in Flammen aufging. In der Shoa verloren 234
jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Heilbronn und
Sontheim ihr Leben. Hier, an dieser Stelle, stand eine der schönsten
Synagogen Deutschlands, die als Höhepunkt der neo-orientalischen Stilphase
im Synagogenbau angesehen wurde, so kann man es in verschiedenen Veröffentlichungen
lesen. Eine der schönsten Synagogen Deutschlands.
3. Und drittens denken wir an den
9. November 1989 – an den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke allen Verantwortlichen,
die heute diesen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ organisiert
haben, so dass es uns möglich war, an vier verschiedenen Orten zu
starten, inne zu halten und des Vergangenen zu gedenken. Die einen starteten
in Sontheim, oder von der Nicolaikirche, dem Deutschordensmünster
oder in Böckingen, beim Überqueren des Neckars gedachten wir
der Überwindung von Grenzen und Mauern – und dachten voller Dankbarkeit
an die friedliche Revolution und den Mauerfall vor 25 Jahren. Das wurde
jetzt ja in den Medien auf vielfältige Weise dokumentiert und aufgearbeitet.
Die Glückwünsche aus aller Welt, dass Deutschland diese historische
Herausforderung meistern konnte, zeigen, dass wir hier auch Grund zur Freude
und Dankbarkeit haben.
Die friedliche Revolution ohne Waffen
und die Wiedervereinigung Deutschlands, ist ein großes historisches
Geschenk. Wir erinnern uns dabei an die vielen Menschen, die mit Zivilcourage,
Mut und Ausdauer diesen gewaltlosen Weg der Montagsdemonstrationen gegangen
sind.
Immer wieder denke ich an den Satz
von Horst Sindermann, dem damaligen Vorsitzenden des DDR-Ministerrates:
„Mit allem haben wir gerechnet,
nur nicht mit Kerzen und Gebeten.
Sie haben uns wehrlos gemacht“.
Frieden schaffen, ohne Waffen!
Schwerter zu Pflugscharen.
Nie wieder Krieg! – so waren die
Vorgaben
„Mit allem haben wir gerechnet,
nur nicht mit Kerzen und Gebeten.
Sie haben uns wehrlos gemacht“.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, als wir den Neckar überquert hatten, haben wir aber auch inne gehalten am Gedenkstein von Michele Kiesewetter und hielten inne angesichts des Terrors des National-Sozialistischen-Untergrunds in unserem Land.
So eine Gedenk-Veranstaltung:
„Wider das Vergessen“
oder so ein:
„Pilgerweg der Gerechtigkeit und
des Friedens“, darf sich nicht in der Erinnerung, nicht nur in Vergangenheits-Bewältigung
erschöpfen, sondern braucht eine Kultur des Erinnerns, die uns in
die Zukunft weist. Eine Erinnerungskultur, die
des Vergangenen gedenkt,
in Schuld und Scham anschaut und
würdigt,
dann aber aus der Geschichte Schlüsse
zieht, für die verantwortliche Gestaltung der Gegenwart, um daraus
eine Hoffnungsperspektive für die Zukunft zu entwickeln.
Ich möchte hier Erich Kästner
zitieren, der einmal sagte:
Die Erinnerung ist eine mysteriöse
Macht und bildet die Menschen um.
Wer das, was schön war, vergißt,
wird böse.
Wer das, was schlimm war, vergißt,
wird dumm.
Erich Kästner
Wir wollen aus der Vergangenheit lernen und aufmerksam eine Erinnerungskultur pflegen.
Liebe Heilbronner Bürgerinnen
und Bürger,
ich bin total überwältigt,
wie in Heilbronn die Erinnerungskultur der Zerstörung Heilbronns am
4. Dezember 1944 gelebt wird. Im Gedenken an den Luftangriff läuten
am 4. Dezember alle Glocken in der Stadt. Am Ehrenfriedhof wird der Opfer
gedacht.
Manche Betriebe stellen die Arbeit
ein,
Der Verkauf auf dem Weihnachtsmarkt
wird unterbrochen und ein Requiem in der Kilianskirche wird mit großer
Beteiligung angenommen.
Heilbronn pflegt hier eine Erinnerungskultur,
die mich als Neubürger tief beeindruckt hat.
Eine Erinnerungskultur ist wichtig
und darum sind wir heute hier am Synagogengedenkstein versammelt. Eine
Erinnerungskultur an diesen dunkelsten Tages deutscher Geschichte ist wichtig
– auch wenn viele sagen, dass man damit doch nach über 70 Jahren aufhören
könnte. … Nein, wir dürfen die Erinnerungskultur nicht beenden,
denn wir leben aus unserer Vergangenheit, gestalten heute unsere Gegenwart
und können unser Leben nur auf Zukunft hin entwerfen. Darum begrüße
ich die Initiative und Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlich, politischer
und kirchlicher Träger unter der Leitung des Friedensbüros Heilbronn:
„Wider das Vergessen“ … „Gegen das
Vergessen“
und ich freue mich über den
heutigen
„Pilgerweg der Gerechtigkeit und
des Friedens“
Der zurückgeht auf eine Initiative
des Ökumenischen Rats der Kirchen. Bei der letzten Vollversammlung
des Ökumenischen Rats der Kirchen in Busan/Korea vor genau einem Jahr
wurde diese Initiative gestartet. Schön, dass wir das hier in Heilbronn
aufgreifen konnten, um die Erinnerungskultur zu bereichern.
Die weltpolitische Situation, in
der wir leben ist alles andere als friedlich.
Heilbronn ist längst eine multikulturelle
und multireligiöse Stadt. Verschiedene Kulturen und Religionen leben
miteinander: Christen, Juden, Muslime Buddhisten und Atheisten. Als Bürgerinnen
und Bürger dieser Stadt sind wir auf ein gelingendes Miteinander angewiesen
und ich möchte ermutigen, eine Kultur der Offenheit, der Akzeptanz
und des Miteinanders weiter zu entwickeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Rainer Hinderer hat letztes Jahr
an diesem Ort sehr beachtenswerte Ansprache gehalten und seine Worte haben
mich angeregt, hier eine „Zeitansage“ zu wagen:
Ich darf zunächst Rainer Hinderer
zitieren:
für uns dürfen solche
Gedenktage nicht nur Erinnerungswert haben, sondern müssen zugleich
historische Zeitansagen sein, eine Botschaft vermitteln, wie wir unser
Zusammenleben heute gut und gelingend gestalten können.
Die Kultur des Erinnerns ermöglicht
es uns nicht nur, sondern fordert uns dazu auf, Schlüsse aus unserer
Geschichte für die Beantwortung aktueller gesellschaftlicher und politischer
Fragestellungen zu ziehen.
So weit Rainer Hinderer.
Sehr geehrte Heilbronner Bürgerinnen
und Bürger,
ich habe kein Mandat dafür,
was ich jetzt tue und habe mich auch noch nicht mit anderen diesbezüglich
abgesprochen, sondern möchte Ihnen einen spontanen Gedanken oder einen
Traum schildern.
Die Wurzeln der jüdischen Gemeinde in Heilbronn reichen zurück bis ins Jahr 1050. Nach dem menschenverachtenden Umgang der Nazis mit den Juden und der schrecklichen Zerstörung der schönen Synagoge hier an der Allee vor 76 Jahren träume ich davon, dass die jüdische Gemeinde wieder einen sichtbaren Ort erhält, um ihren Glauben in Würde und in Freiheit leben zu können. Ich träume davon, dass … … vielleicht im neuen BUGA-Gelände in der Nähe zu unserem ökumenischen christlichen Zentrum und in Nachbarschaft zur Moschee eine neue Synagoge den jüdischen Mitbürgern eine Heimat gibt.
Das Judentum ist die Wurzel der abrahamitischen Religionen – Judentum – Christentum – Islam - und auch mancher Richtungen im Buddhismus.
Das Judentum ist die Wurzel unserer
Tradition und Kultur und es steht einer zukunftsweisenden, interreligiösen
und multikulturellen Stadt wie Heilbronn gut zu Gesichte, die Wurzeln ihrer
Tradition und Kultur sichtbar zu machen und - in einem fruchtbaren Dialog
des Friedens - die Religions- und Gewissenfreiheit als ein Menschenrecht
zu schützen, so dass menschenverachtende Ausgrenzung, Intoleranz und
Rassismus in Heilbronn nie wieder eine Chance habe.
Danke, dass Sie mir zugehört
haben.
Shalom.
( Es gilt das gesprochene
Wort )