Dorothea Braun-Ribbat
sprach für die Friedensbewegung auf der Trauerfeier für Martha Kuder am 8. September 2004, Hauptfriedhof Heilbronn.
 
 

Die Friedensbewegung Heilbronn und Martha Kuder – ein Nachruf

Wir nehmen heute Abschied von Martha Kuder; sie war für einige von uns Weggefährtin, Mitstreiterin, Nebensitzerin bei Sitzblockaden, Genossin, mütterliche Freundin – sie wurde für uns alle eine Leitfigur der Heilbronner Friedensbewegung. Gerade weil das schon über 20 Jahre zurückliegt, möchte ich in dieser Stunde die Erinnerung an Martha Kuders Leben und Wirken für Frieden und Demokratie wachrufen.
„Mein Protest galt und gilt den auf der Waldheide stationierten 36 Pershing II-Raketen sowie allen Atomwaffen in unserem Land und anderswo. In einem demo-
kratischen Land kann es nicht Rechtens sein, dass Menschen in Friedenszeiten einer derartigen Bedrohung mit verbrecherischen, unverantwortbaren Waffen ausgesetzt werden“ – so hatte Martha Kuder auf einem Flugblatt die Motive ihres persönlichen Widerstands beschrieben. Deswegen setzte sie sich mit Demonstration und Blockaden seit der Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses konsequent für Demokratie und Frieden ein.
Für die Jüngeren unter uns ist vielleicht das einfach nur Vergangenheit, Geschichte, für die Älteren jedoch erlebte Geschichte.
Martha Kuder ging es dabei um ihre, um unsere besondere Heilbronner Alltagsgeschichte, um das ehemalige Naherholungsgebiet Waldheide, um die Schöpfung, die sie zu bewahren helfen wollte, um friedliches Zusammenleben in der bedrohten Stadt. Dafür setzte sie sich als Mitglied der Heilbronner Friedensbewegung unbeirrbar und konsequent ein.

„Beharrlich erinnern“ so heißt ein Buch das 1987 erschien mit Texten zur „Heilbronner Begegnung“. Beharrlichkeit und die Bereitschaft zur Erinnerung, das sind Tugenden, die Martha Kuder uns beispielhaft vorgelebt hat.
Nicht nur damal im Juni 1985 vor dem Pershinglager in Mutlangen hatte sie mit einer Sitzblockade die Raketentransporter an der Weiterfahrt gehindert und war in der Folge zu einer Gefängnisstrafe wegen Nötigung verurteilt worden.
Auch auf der Heilbronner Waldheide nahm sie regelmäßig an den Mahnwachen und Blockaden teil. Allein hier, am Rande der damaligen Stadt zwischen Reben und Raketen wurde sie 14 Mal wegen ihres Protestes festgenommen und von der Polizei abgeführt.
Martha war bei den Mahnwachen und Blockaden immer sehr sorgfältig zurecht ge-
macht, sie trug quasi als ihr Markenzeichen stets einen hellen Overall und machte immer wieder auch durch ihr gepflegtes Äußeres auf die ungewöhnliche Situation
aufmerksam. Darauf, dass deutsche Polizisten eine amerikanische Raketenanlage beschützten; dieses Waffenarsenal war jedoch für die Menschen, die dagegen protestierten, eine mörderische Bedrohung. Dagegen wollte Martha beharrlich und stetig Widerstand leisten.

Martha Kuder, die von sich sagte, dass sie „überhaupt nicht reden könne“, suchte  hingegen immer wieder  das Gespräch mit den bewachenden Polizisten, welche die amerikanischen Soldaten vor Menschen wie ihresgleichen schützen sollten. Sie forderte sie zum Nachdenken auf (und manchmal veranlasste sie sie vielleicht auch zur innerlichen Rechtfertigung ihres Handelns). „Im Grunde teile ich Ihre Auffassung“, sagte zu ihr einmal ein junger Polizist.
Unvergessen bleibt für viele von uns, wie beim - endlichen – Abzug der Pershing II-
Raketen Martha Kuder, eine Frau der 1. Stunde der Heilbronner Friedensbewegung
heftig mit dem Polizeipräsidenten diskutierte „hier oben auf der Waldheide ist ein Verbrechen gegen die Menschheit stationiert“ … zitiert sie aus der Stellungnahme des Ökomenischen Rats von Vancouver und fragte, wie er angesichts dieser Einschätzung den aufwendigen Polizeieinsatz hätte rechtfertigen können?

Diese mutige Gelassenheit, die unbeirrbare Widerständigkeit und die bemerkenswerte Courage, die haben Martha Kuder ausgezeichnet. Wir haben das an ihr bewundert und haben von ihr gelernt.
„Seien wir Realisten, wagen wir das Unmögliche“, der Spruch der Pariser
 Studentenbewegung hätte auch von ihr stammen können. Geduld ja – Resignation nein, das war ihre Devise.
Als ich sie kennen lernte – vermutlich im Jahr 1983 – war sie 61 Jahre alt, Mutter von
4 erwachsenen Kindern und Großmutter einer Enkelin; sie beteiligte sich an der Menschenkette, an Mahnwachen und Demonstrationen. Sie sagte von sich selber,
sie wolle nicht wie die meisten ihrer Generation „den Kopf in den Sand stecken oder sich durch die Obrigkeit einschüchtern lassen“.
Eine Szene habe ich vor Augen, die ihre Haltung sehr treffend charakterisiert. In Heilbronn wurde im Frühjahr 1985 die Landesgartenschau im heutigen Wertwiesenpark eröffnet. Auf der Tribüne saßen bei strahlendem Sonnenschein die Honoratioren der Stadt, Landespolitiker waren gekommen, die Stadtkapelle spielte, man wartete freudig auf die offizielle Eröffnung.
In dieser Situation schreitet Martha, festlich gewandet langsam an der Tribüne entlang, wie ein Staatsoberhaupt, das die Parade der Ehrengarde abnimmt. Sie trägt ein Mahnplakat auf Brust und Rücken und erinnert die Gartenschaugäste von nah und fern daran, dass aus der Waldheide, wo ehemals Schafe weideten und Heilbronner sich erholten nunmehr Ort nuklearer Bedrohung geworden sei.

Ich empfand damals und heute ungeheure Bewunderung für ihre Courage und für den Mut, das auf Feiern und Blumenschau eingestimmte Publikum auf die akute Bedrohung der Stadt aufmerksam zu machen; denn damals 1985 war die Stationierung der Pershing II-Raketen bekannt geworden. Martha Kuders bedingungsloser Einsatz für Frieden und Demokratie hat sie zu einer der Leitfiguren der Heilbronner Friedensbewegung gemacht. Für viele von uns war sie Vorbild und Ermutigung. Sie begleitete uns stets verlässlich auf dem oft mühsamen Weg zu dem gemeinsamen Ziel, das da hieß „die Pershing-Raketen müssen verschwinden“. Dieses Ziel hat Martha Kuder fest im Auge gehabt. Ganz besonders aktiv engagierte sie sich nach dem furchtbaren Raketenunfall. Eine Tragödie, die sich am 11. Januar des nächsten Jahres 2005 traurig zum 20. Mal jährt und bei der 3 amerikanische Soldaten getötet und 16 schwer verletzt wurden; das  rüttelte die Menschen in Heilbronn total auf, viele haben sich in der Folge dem Protest der Friedensbewegung angeschlossen.

Dass die Raketen heute tatsächlich verschwunden sind, hat sicher mehrere Gründe,
das Ende des Kalten Krieges, die zunehmende Abgrenzung der europäischen von der amerikanischen Verteidigungspolitik, ein Zusammenspiel von nationalen und internationalen Einflüssen – all das hat dazu geholfen.
Sicher ist aber auch, dass die Aktionen der Friedensbewegung vor Ort durch beharrliches Erinnern und wirkungsvolle Formen zivilen Ungehorsams, wie Martha Kuder ihn aktiv praktiziert hat, diese Entwicklung nachhaltig befördern konnte.
Ziviler Ungehorsam, civil in obedience, hat in den USA eine lange Tradition und stammt aus der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung – damit schließt sich
ein Kreis.
Als die Amerikaner abzogen und den Standort Heilbronn verließen, schmückte Martha die Tore mit Blumen und stand Hand in Hand zum Abschied mit Uniformierten Spalier: eine ältere Frau mit weißen Haaren, glücklich darüber, dem ersehnten Frieden ein Stück näher gekommen zu sein.

Das Streben nach Frieden und wahrhafter Demokratie, das war das Martha Kuders  Ziel. „Alle Menschen, die ein besseres Leben wünschen, sollen aufstehn“ sang seinerzeit die holländische Gruppe die „Bots“. Das hat sie getan.
Martha Kuder gehört zu den Menschen, die aufgestanden sind. Die Heilbronner
Friedensbewegung dankt ihrer Weggefährtin für ihren Mut und für ihre
Ermutigung. Ihr Leben und Wirken in unserer Stadt wird für uns Vorbild und Ansporn sein.