Ansprache bei der Demonstration gegen einen
Irak-Krieg
am 15. Februar 2003 auf dem
Platz vor der Kilianskirche in Heilbronn
durch
Prälat Paul Dieterich
Mehrere Menschen, die ich sehr schätze,
haben mich sehr besorgt gefragt: Müssen Sie denn auf dieser De-monstration
sprechen? Wir wissen doch von Ihnen, dass Sie in Saddam Hussein einen verbrecherischen
Diktator sehen. Müssen Sie sich dem Verdacht aussetzen, als wollten
sie die Gefahr, die von ihm ausgeht, herunter-spielen? Ausgerechnet Sie,
der Sie in Jahrzehnten be-wiesen haben, dass Sie ein Freund Israels sind
?
Und ich wurde weiter gefragt: Warum sprechen
Sie bei einer Demonstration, die unter dem Slogan steht: „Kein Blut für
Öl“? Wir wissen doch von Ihnen, dass Sie in der Ölfrage nicht
das entscheidende Motiv sehen, das George Bush so unnachgiebig auf
Krieg drängen lässt. Warum setzen Sie sich solchen Missverständnissen
aus?
Warum? Ich tue es, damit auch vor der
Kirchentür das zur Sprache kommt, was ungezählte Christen aller
Kon-fessionen in diesen Wochen denken. Ich will auf das hinweisen, was
führende Frauen und Männer der ver-schiedenen Kirchen rund um
den Erdkreis und nicht zu-letzt auch in Amerika geradezu einmütig
sagen. Was der alte, kranke Papst Johannes Paul II mit letzter Energie
und beschwörend sagt; - ich war heute vor zwei Wochen in Rom und sprach
mit Kardinal Walter Kasper; er wies mit allem Nachdruck darauf hin, w i
e sehr der Papst von der Sorge um die Menschen im Irak umgetrieben
sei. Ich will zur Sprache bringen, was die amerikanischen so gut wie die
deutschen Kardinäle sagen; was der heftigste Kritiker des Papstes,
Hans Küng, unisono mit dem Papst bezeugt. Ich möchte zur Sprache
bringen, was der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland so deutlich
wie die Württembergische Landessynode und was der Gene-ralsekretär
des Ökumenischen Rates der Kirchen, Kon-rad Raiser so deutlich macht
wie der Generalsekretär des Nationalen Kirchenrates der USA, Bob Edgar.
Ich will weitersagen, was vor wenigen Tagen in Berlin zwan-zig Repräsentanten
protestantischer und orthodoxer Kir-chen in ihrer Erklärung zu einem
möglichen Irak-Krieg veröffentlicht haben: dass sie aus ethischen
wie aus völ-kerrechtlichen Gründen einen Angriff auf den Irak
ableh-nen.
Wir Christen denken zuerst an die betroffenen
Men-schen. Sind es Hunderttausende oder viel mehr hilflose Leute, deren
Alltag auch ohne Krieg schwer genug ist? Die durch die unmenschlichen Sanktionen
der letzten Jahre ohnehin geschwächt sind, die Kinder besonders. Welches
Elend käme über sie durch den Tod aus der Luft oder durch Straßenkämpfe
in Bagdad? Es trifft doch jeder Krieg besonders die Hilflosesten. Hier
in Heilbronn weiß man das doch. Jeder dieser Menschen ist geschaf-fen
als Ebenbild Gottes. Über jedem sagt Christus: „Was ihr getan habt
einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“.
Das Geschick dieser Menschen treibt uns um.
Und wir halten einen Präventivkrieg
gegen den Irak für völkerrechtswidrig. Die UN-Charta verbietet
jeden Einsatz von Gewalt außer zur individuellen und kollektiven
Selbstverteidigung. Sie verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten dazu, ihre Konflikte
friedlich beizulegen. Auch die zwei eng definierten Ausnahmen von diesem
umfassenden Gewaltverbot sind nicht gegeben – weder der Fall des Selbstverteidigungsrechtes
einzelner Staaten – das gro-ße, starke, ferne Amerika ist durch den
geschwächten Irak nicht bedroht – noch liegt ein Beschluss der Verein-ten
Nationen vor, nach Kapitel VII der Charta militärisch vorzugehen.
Erst recht kann ein Krieg, allein um ein Re-gime auszuwechseln, nicht in
Frage kommen. Und schon gar nicht die willkürliche Ausweitung des
nach dem Völ-kerrecht äußerst eng begrenzten Begriffes
der Präventi-on. Auch das Deutsche Grundgesetz stuft in Artikel 26
den Angriffskrieg ausdrücklich als verfassungswidrig ein und stellt
ihn unter Strafe.
Wir fragen uns, was ein amerikanischer
Präventivkrieg ohne UNO-Mandat der UNO antun würde. Er würde
ein für allemal das Gewaltverbot der UN-Charta aushebeln. Was hindert
dann noch Staaten wie Indien, Pakistan o-der China daran, unter Berufung
auf die USA in ihre Nachbarländer einzufallen? „Wir appellieren an
den Si-cherheitsrat...zu vermeiden, dass ein negativer Präze-denzfall
geschaffen wird, der die Hemmschwelle ernied-rigt, gewaltsame Mittel zur
Lösung internationaler Konflik-te einzusetzen“, so erklärten
die 20 Vertreter protestanti-scher und orthodoxer Kirchen vor wenigen Tagen
in Ber-lin.
Ich stimme dem CDU-Mitglied Jürgen
Todenhöfer, der über fünf Legislaturperioden im Bundestag
saß und der einmal Entwicklungshilfeminister war, zu, wenn er in
sei-nem neuen Buch schreibt: Man kann die Demokratie nicht mit undemokratischen
Mitteln, die Menschenrechte nicht mit Menschen verachtenden Methoden verteidigen.
Ich glaube, dass bei einem Angriff auf den Irak, seine Städte und
seine Menschen, genau das stirbt, was den Wert unserer politischen Kultur,
unserer Zivilisation aus-macht: dass wir die Würde und das Lebensrecht
der Menschen in den Ländern der Dritten Welt genauso ach-ten wie die
Würde der Menschen in New York, London, Paris und Berlin.
Der große Sohn Amerikas Martin Luther
King hat einst seine Landsleute und die Menschheit an etwas sehr Ein-faches
erinnert: dass nach den Gesetzen von Samen und Frucht Menschlichkeit aus
Menschlichkeit, Gewalt aus Gewalt und Unrecht aus Unrecht kommt. Wer menschliche
Gerechtigkeit ernten will, darf nicht Gewalt säen.
Uns beschäftigt auch der Eindruck,
dass Krieg immer deutlicher zur Möglichkeit der Lösung von Konflikten
ge-macht wird. Je mehr das geschieht, desto peinlicher ver-kümmert
politische Kreativität zur friedlichen Lösung von Konflikten.
Das ‚Alte Europa’ hat in blutigen Lernprozes-sen erfahren, wie schrecklich
alles, was das Leben wert macht, zusammenbricht, wenn der Krieg tobt. Das
Alte Europa hat sich vor niemandem zu schämen, wenn es zu diesen Erfahrungen
steht, selbstbewusst und standhaft daraus Konsequenzen zieht.
Ganz besonders sorgen wir Christen uns
darum, dass auf allen Seiten die Religion in den Dienst des Krieges gestellt
wird. Krieg ist schlimm. Aber wenn er im Namen Gottes geführt wird
von denen, die sich für die Guten halten, gegen andere, die für
sie die Verkörperung des Bösen sind, dann wird alles noch viel
grausiger. „Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden wie das Wort Gott,
es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last. Die Geschlechter der
Menschen mit ihren Religionsparteiungen haben das Wort zerrissen“, schreibt
Martin Buber, „sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben;
es trägt ihrer aller Fin-gerspur und ihrer aller Blut...Sie zeichnen
Fratzen und schreiben ’Gott’ darunter; sie morden einander und sa-gen ‚im
Namen Gottes’“. Die Kreuzzugs-Mentalität des ‚Deo di vult’‚ ‚Gott
will es’, und die Weltkriegsmentalität des ‚Gott mit uns’ wirft uns
um Jahrhunderte zurück. Können Christen, die aus der Schande
der Christenheit etwas gelernt haben, das schweigend mit ansehen? Mit Recht
sagte kürzlich der katholische Bischof von Lim-burg, Franz Kamphaus:
Der Gott der Christen ist kein Kriegsgott, sondern der Gott aller Menschen
in Nord und Süd, Ost und West, im Irak und in Amerika. Niemand darf
sich auf Gott berufen, wenn er zum Krieg rüstet.
Ich sorge mich darum, dass durch diesen
Krieg innerhalb des Islam fanatische Islamisten die Oberhand bekämen
über Muslime, deren große Sehnsucht der Friede ist. Dass sie
den Angriff als Angriff der Christen gegen den Islam verstehen würden.
Ich sorge mich darum, dass wir drei Monate Krieg durch dreißig Jahre
Terror bezahlen müssten. Ich fürchte, dass Osama bin-Laden der
eigent-liche Gewinner eines solchen Krieges sein würde. Denn ein solcher
Krieg schafft die heiße, gespenstische Atmo-sphäre, in der bin
Laden genug junge Leute als Selbst-mordattentäter für seinen
´’Heiligen Krieg’ rekrutieren kann. Todenhöfer schreibt
mit Recht: Wenn wir wollen, dass der muslimische Terrorismus von einer
Minderhei-tenbewegung zu einer Massenbewegung, und unser jun-ges Jahrhundert
zu einem Jahrhundert des Terrorismus wird, müssen wir genau diesen
Krieg führen.
Muss ich noch darauf hinweisen, dass unser
christlicher Protest gegen einen Irak-Krieg nichts, aber auch gar nichts
zu tun hat mit irgendwelchen Verharmlosungen des verbrecherischen Regimes
des Saddam Hussein?
Es ist bei uns nicht vergessen, was er
den Kurden ange-tan hat und wie menschenverachtend er mit vielen Men-schen
im Irak umging. Gern mache ich mir auch zu ei-gen, was der Rat der EKD
am 24. Januar veröffentlicht hat: Wir verkennen nicht, dass
die Politik Saddam Hus-seins, vor allem sein – jedenfalls in der Vergangenheit
unzweifelhaftes – Bestreben, sich in den Besitz atomarer, chemischer und
biologischer Massenvernichtungswaffen zu bringen, und seine Weigerung,
die Forderungen der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit zu erfüllen,
die Hauptwurzel des gegenwärtig sich zuspitzenden Konflik-tes sind“.
Gerade darum sollte man den Waffeninspektoren
die Zeit lassen, die sie zu ihrer wichtigen Arbeit brauchen. Und es wäre
gut, ihre Zahl zu verdoppeln und sie mit al-len nur denkbaren Mitteln auszurüsten.
Auch müsste ein Friedensplan entworfen
werden, der den Irak festlegt auf ungehinderte Waffeninspektionen und,
falls tatsächlich Massenvernichtungswaffen gefun-den würden,
weitere Abrüstung. Auf einen Gewaltver-zichtsvertrag des Irak mit
allen Nachbarstaaten, beson-ders mit Israel und auch mit den USA. Verbindliche
iraki-sche Garantien für Kurden und Schiiten. Die Befreiung des gesamten
Nahen Ostens von Massenvernichtungs-waffen. Eine aktive Beteiligung des
Irak im Kampf gegen den Terrorismus . Faire Rohstoffsicherungsabkommen
mit der freien Welt und die Aufhebung der Wirtschafts-sanktionen, durch
welche die Armen im Irak in ungeheu-re Nöte gekommen sind.
Muss ich beteuern, dass keinerlei Antiamerikanismus
uns bestimmt? Vieles verdanken wir Deutschen Amerika. Wir wollen auch weiterhin
in Freundschaft mit Amerika leben. Man sollte auch zugeben, dass Amerika
eine weltpolitische Führungsrolle hat. Aber: Wenn Amerika unsere Welt
in eine lebenswerte Zukunft führen will, dann sollte es, wie Henry
Kissinger gesagt hat, auf die Attraktivität und Verführungskraft
seiner Werte, seiner Konzepte und Ideen vertrauen, statt diese mit brutaler
Gewalt durchzusetzen. Eine Pax Americana, die nationa-le Interessen über
das Recht stellt und die im Kampf ge-gen den Terrorismus die amerikanische
Verfassung und die Menschenrechte vergisst, entspricht nicht den großen
Traditionen und der großen Verantwortung der USA. Ro-bert Kennedy
hat im Oktober 1962 während der Kuba-Krise den Überfall auf ein
Land, von dem man vorher nicht selbst angegriffen worden sei, als ‚unamerikanisch’
bezeichnet. Wer das tue, der handle wie die Japaner in Pearl Harbor und
stelle alle Werte in Frage, für die Ame-rika stehe. Gilt das im Jahr
2003 noch?
Und Israel? Wenn es zum Krieg kommt, ist
Israel mehr bedroht als jedes andere Land im vorderen Orient. Israel hat
schwere Probleme. Wir Deutschen sind nicht dazu berufen, darüber zu
richten, wie Israel diese Probleme löst. Aber eines ist sicher: Dieses
Volk braucht Versöh-nung mit seinen Nachbarn. Ein Krieg an seinen
Grenzen wird die Verzweiflung seiner Feinde ebenso entflammen wie die Gefahr
für dieses Volk. Wer sich als Freund Isra-els versteht, der kann nur
beten und hoffen, dass dieser Krieg auch Israel erspart bleibt.
Geht es in einem Irak-Krieg auch um Öl?
Ja, gewiss auch. Die Kontrolle über die irakischen Ölfelder würde
die USA unabhängiger von den Ölmultis von Saudi-Arabien werden
lassen. Das ist verlockend. Jeder Krieg hat auch wirtschaftliche Motive.
Aber viel mehr geht es George Bush darum,
den Kampf gegen das Böse in der Welt zu führen. Ich glaube es
ihm, dass ihm das ernst ist. Dass der Christ George Bush dabei im Gegensatz
zu Christus und seinen Apos-teln auf die Macht der Gewalt und nicht auf
die Kraft des Geistes Gottes und tätiger Hilfe setzt, ist sein eigentlicher
und folgenreichster Irrtum.
Ich schließe mit Worten von Jürgen
Todenhöfer: Frieden ist schwer, Krieg ist viel leichter. Aber wer
nur auf Härte, Härte und nochmals Härte setzt, verspielt
alles, was un-ser Leben lebenswert macht: Freiheit, Gerechtigkeit, To-leranz
und Menschlichkeit. Gerade im Zeitalter der Mas-senvernichtungswaffen und
des internationalen Terro-rismus gilt John F. Kennedys prophetischer Satz:
„Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, sonst setzt der Krieg der
Menschheit ein Ende“.
- es gilt das gesprochene Wort -